Bei Analysen zur Netzstabilität – etwa im Zusammenhang mit dem jüngsten Blackout auf der Iberischen Halbinsel – wird zunächst die Netzfrequenz genau betrachtet. Diese ist innerhalb eines synchronisierten Netzverbundes überall gleich.
In Europa existieren vier große Netzverbünde:
- Kontinentaleuropa (der größte Verbund),
- Großbritannien,
- Skandinavien
- Irland
Das Wechselstromnetz (AC-Netz) funktioniert nur durch einen permanenten Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch. Die Frequenz spielt dabei eine zentrale Rolle:
- Sinkt die Frequenz, muss zusätzliche Leistung eingespeist werden (oder Last reduziert).
- Steigt die Frequenz, muss Erzeugungsleistung reduziert werden (oder Last zugeschaltet).
Die übergeordnete Koordination übernimmt ENTSO-E (European Network of Transmission System Operators for Electricity). Innerhalb des Netzverbunds ist das Gebiet in Regelzonen unterteilt, die jeweils eigenständige Aufgaben bei der Frequenzhaltung erfüllen.
Die enorme Ausdehnung des Netzverbundes stellt hohe Anforderungen an Betriebssicherheit und Zuverlässigkeit. Obwohl die Frequenz theoretisch im gesamten Netzgebiet gleich ist, treten aufgrund dynamischer Effekte wie Lastpendelungen regionale Differenzen auf.
Bedeutung präziser Frequenzmessung
Eine genaue Erfassung der Frequenz ist Voraussetzung, um den Netzzustand zuverlässig zu beurteilen. Im Folgenden stelle ich verschiedene Methoden der Frequenzmessung vor, von einfachen Verfahren bis hin zu komplexeren Ansätzen, und beleuchte jeweils deren Vor- und Nachteile.

Methoden der Netzfrequenzmessung
Methode | Vorteile | Nachteile | Bemerkung |
---|---|---|---|
1. Nulldurchgangszählung | Einfach, Normkonform (61000-4-30) | Langsame Aktualisierung | Gut für Langzeitüberwachung |
2. Einzelperiodenmessung | Schnellere Aktualisierung, höhere Genauigkeit | Höhere Anforderungen an Zeitauflösung | Ideale Basis für präzisere Messungen |
3. FFT-Messung | Hohe Frequenzauflösung, vielseitig | Komplexe Implementierung, Fenster-Tradeoff | Kombinierbar mit Oberschwingungsanalyse |
4. Software-PLL | Kontinuierliche Frequenzverfolgung | Aufwendig, empfindlich bei Störungen | Früherer Standard in PQ-Geräten |
5. Winkelgeschwindigkeit (Clarke-Transf.) | Sehr schnell, robust gegen Störungen | Nur bei 3-Phasen-Signalen anwendbar | Ideal bei symmetrischer Spannungsquelle |
1. Zählung der Nulldurchgänge im festen Zeitintervall
Prinzip:
In einem festen Zeitfenster (z. B. 10 Sekunden) werden die positiven Nulldurchgänge gezählt und die Zeit bis zum letzten Nulldurchgang gemessen (entsprechend IEC 61000-4-30).

Nach IEC 61000-4-30 Klasse A ist eine Messunsicherheit von 10mHz zulässig. Das Toleranzband von 50,015 Hz bis 50,025 Hz erlaubt entsprechend eine Messunsicherheit der Zeit von ±1 ms.
Vorteile:
- Konformität mit IEC 61000-4-30 (Mindestanforderung)
- Einfache Implementierung
Nachteile:
- Geringe Aktualisierungsrate (nur alle 10 Sekunden ein neuer Wert)
- Nicht geeignet für dynamische Messungen
2. Zeitmessung einzelner Schwingungen
Prinzip:
Anstatt in festen Zeitfenstern zu zählen, wird die Dauer einzelner Perioden (Schwingungen) genau gemessen. Um eine Unsicherheit von ±10 mHz zu erreichen (bei 50 Hz), müsste die Zeitmessung eine Auflösung von 4 µs haben.

Ansätze:
- Direkte digitale Zeitmessung (z. B. mit Hochfrequenzzähler)
- Abtastung mit lineare Interpolation der Nulldurchgänge

Praxis:
Eine Abtastrate von etwa 10 kHz reicht bei linearer Interpolation aus, um die Grundschwingung ausreichend genau zu erfassen. Wichtig ist eine gute Filterung der Oberschwingungen.
Vorteile:
- Schnellere Aktualisierung (jede Periode)
- Genauere Messung mit linearer Interpolation
Nachteile:
- Höhere Anforderungen an Abtastrate und Signalverarbeitung (Filterung, Interpolation)
3. Frequenzbestimmung über FFT (Fast Fourier Transform)
Prinzip:
Die Frequenz wird durch Analyse des Frequenzspektrums bestimmt.
Wichtige Aspekte:
- Fensterbreite: Breitere Fenster liefern bessere Frequenzauflösung, aber schlechtere zeitliche Auflösung.
- Mindestens 5 Perioden der Grundschwingung sollten im Fenster enthalten sein.

Technik:
Spezielle Algorithmen (Interpolation zwischen Linien) verbessern die Genauigkeit, da die exakte Frequenz selten genau auf einer FFT-Linie liegt.
Vorteile:
- Hohe Frequenzgenauigkeit möglich
- Flexibel kombinierbar mit anderen Analysen (z. B. Oberschwingungsanalyse)
Nachteile:
- Komplexe Signalverarbeitung
- Tradeoff zwischen Frequenz- und Zeitauflösung
4. Frequenzmessung mit Software-PLL (Phase-Locked Loop)
Prinzip:
Eine PLL synchronisiert sich auf die Netzfrequenz, ähnlich wie bei HF-Empfängern.
Anwendung:
- Synchronisierung des ADC-Taktes bei älteren PQ-Messgeräten
- Flexible Anpassung an Frequenzänderungen
Technische Details:
- PLLs können auf reellen oder komplexen Signalen basieren.
- Komplexe PLLs sind robuster gegenüber Amplitudenänderungen.
Erfahrungen:
Meine eigenen Experimente mit verschiedenen Software-PLLs zeigten gemischte Resultate – die Implementierung ist anspruchsvoll und nicht immer stabil.
Vorteile:
- Laufende Aktualisierung der Frequenz
- Robuste Synchronisierung
Nachteile:
- Hoher Implementierungsaufwand
- Anfällig bei schlechten Signalbedingungen
- Nicht so schnell wie Einzelperiodenmessungen
5. Winkelgeschwindigkeitsmethode (basierend auf Clarke-Transformation)
Prinzip:
Aus einem 3-phasigen Signal wird mittels Clarke-Transformation ein zweidimensionales Signal (α-β-Transformation) erzeugt. Daraus lässt sich der Momentanwinkel und dessen Änderung ableiten, quasi der aktuelle Spannungszeiger ermitteln.
Technik:
- Der aktuelle Winkel wird über arctan2(β, α) berechnet.
- Die zeitliche Ableitung des Winkels ergibt die Frequenz.
Voraussetzung:
- 3-Phasige Messung der Spannung
- Gute Filterung der Oberschwingungen

Praxis:
Durch Mittelwertbildung über 0,02 Sekunden wird das durch Unsymmetrien verursachte Ripple entfernt. So kann ohne Nulldurchgangserkennung die Frequenz präzise bestimmt werden.
Vorteile:
- Schnelle Frequenzmessung
- Robust gegenüber Störungen
Nachteile:
- Nur bei 3-phasigen Systemen möglich
- Position des Nulldurchgangs ist nicht bekannt
Praktische Erfahrungen
Die Methode 2 (Einzelperiodenmessung mit linearer Interpolation) ist im PQopen Messgerät implementiert. Damit ist es möglich, die Frequenz jeder einzelnen Schwingung zu messen. Leider werden dadurch Störungen sichtbar, die man eigentlich nicht erfassen wollte:

Dargestellt sind 5 Minuten der Frequenzmessung. Ab der Mitte der Grafik gibt es starke Ausschläge, die durch die Flicker-Emission des Stahlwerks (hier berichtete ich) entstehen. Nur durch Glättung kann der Verlauf der eigentlichen Frequenz nachvollzogen werden.
Die Messung der Netzfrequenz an verschiedenen Netzpunkten kann Auskünfte über dynamische Vorgänge und Lastflüsse geben. Hier ein Beispiel der Frequenzmessung an zwei verschiedenen Punkten ca. 50 km entfernt zueinander:

Zusammenfassung
Je nach Anforderungen an Genauigkeit, Aktualisierungsrate und Implementierungsaufwand bieten sich unterschiedliche Methoden der Frequenzmessung an.
Während die einfache Nulldurchgangszählung für viele Anwendungen ausreicht, ermöglichen aufwendigere Verfahren wie periodenweise Nulldurchgangserkennung mit Interpolation oder Winkelgeschwindigkeitsmessung deutlich schnellere und robustere Analysen – vorausgesetzt, der technische Aufwand ist vertretbar.
Euer Michael
Ich habe eine Frage zu der Interpolation bei der Messung der Periodenzeit. Ich messe im Moment die Zeit zwischen zwei Nulldurchgängen in der gleichen Richtung: ein 1 MHz-Oszilator taktet einen 32 bit-Zähler. Den Nulldurchgang bestimme ich mit Diode, Optokoppler und Schmitttrigger. Mit diesem Signal triggere ich am Zähler die Übertragung des Zählerstands in ein Capture-Register und gleichzeitig über einen Interrupt an einem RPi das Auslesen des Zählers.
Durch die Sperrspannung von Diode und Optokoppler (und ein bisschen auch durch die Verzögerung des Schmitttriggers) liege ich immer neben dem tatsächlichen Nulldurchgang. Aber immer gleich, und damit sollte sich das für die Periodenzeitmessung und die daraus abgeleitete Frequenzmessung egalisieren. Eigentlich hatte ich vor, den Aufbau mit einem 10MHz-GPSDO und einem im Kernel an den Interrupt angehängten ns-Zeitstempel zu verbessern. Aber die Interpolation des Nulldurchgangs hatte ich bisher nicht auf dem Zettel. Bringt das tatsächlich soviel an Genauigkeit und warum? Das ist mir nicht klar geworden.
Danke!
Danke für Ihren Kommentar. Ich bin in dem Beitrag speziell auf abtastende Systeme eingegangen, d.h. wenn die Spannung mit einem ADC gesampled wurde. Eine eigene Eingangsschaltung, die mit einem digitalen Zähler arbeitet, hat durch hohe Taktraten seine Vorteile. Wenn man nur die Frequenz wissen will, ist das eine einfache und genaue Methode. Möchte man aber die Spannungshöhe und weitere Parameter gleichzeitig erfassen, ist der Schaltungstechnische Aufwand höher. Außerdem lassen sich eventuelle Oberschwingungsfilter leichter in Software rechnen (und dynamisch anpassen) als in der Hardware-Schaltung.
Die Interpolation bringt bei abtastenden System einiges an Genauigkeit, da die Samples zu diskreten Zeitpunkten entstehen und rechnerisch der „tatsächliche“ Nulldurchgang ermittelt werden kann (im Sub-Sample Bereich)
Ah, ich verstehe. Ist die Spannung im Zusammenhang mit der Beurteilung der Netzqualität tatsächlich von so großer Bedeutung? Macht die Spannung nicht eher eine Aussage über die Qualität der eigenen Installation bzw. der Installation im unmittelbaren Wohnumfeld sowie über die momentante Last in diesem Bereich?
Unbedingt, die Spannung ist bei lokaler Betrachtung das wichtigste Merkmal.
Das hat nicht unmittelbar etwas mit der eigenen Installation zu tun, sondern eher etwas mit der Leitungsführung (Länge, Querschnitt, Anzahl der Abnehmer) und der Eigenschaften der Lasten sowie Einspeiser und der Qualität des übergeordneten Netzes.
Global betrachtet ist hauptsächlich die Netzfrequenz der Indikator, aber wie man im Fall Spanien sehen kann, ist auch die Spannungshöhe ein wichtiges Merkmal.