Ich hatte in der Vergangenheit schon über das Schwingungs-Phänomen berichtet, welches an manchen Tagen in Deutschland, insbesondere an der Messstation DE/Stade, detektierbar ist. In diesem Beitrag möchte ich versuchen, die Rahmenbedingungen, unter derer die Schwingungen vermehrt auftreten als auch die Schwingung selbst zu charakterisieren.
In diesem Artikel werden Phänomene dargestellt, die anhand der Spannungsmessung sichtbar gemacht werden können. Einige dieser Phänomene resultieren wiederum aus Schwingungen des Stromes (bzw. Leistung), welcher durch die Impedanzen die Spannung indirekt beeinflusst. Für ein vollständiges Bild (z.B. Klärung der tatsächlichen Ursachen) bräuchte es auch Strommessungen im übergeordneten Netz, das kann PQopen heute aber nicht leisten.
Power System Stability
Bei klassischen Betrachtungen dynamischer Stabilität des Stromnetzes geht es meistens um inter-area oder local-modes im Verbund vom Synchrongeneratoren. Erstere sind Schwingungen, die sich durch den Leistungsaustausch zwischen entfernten Erzeugungsschwerpunkten hervorgerufen werden, zweitere zwischen einzelnen Generatoren im Nahbereich. Diese Art von Schwingungen sind gut bekannt und wissenschaftlich bearbeitet, und stellen im Normalfall keine Gefahr für den Netzbetrieb dar, da dafür gesorgt wird, dass diese Schwingungen aktiv gedämpft werden (Power System Stabilizer). Die auftretenden Schwingungen sind meistens im Bereich zwischen 0.1 und 2.5 Hz angesiedelt.
Bei näherer Betrachtung fragt man sich:
Um die Schwingung welchen Parameters handelt es sich dabei?
In den meisten Fällen ist es eine Kombination mehrerer Parameter, da diese ja auch nicht vollkommen unabhängig auftreten können. Je nach Charakteristik und Ursprung dominiert die Schwingung bei einem der Parameter. Schwingungen treten in der Amplitude (AM) als auch Frequenz (FM) von Strom und Spannung auf.
Die bisherigen Forschungen haben sich hauptsächlich auf die Stabilität des Systems mit Synchrongeneratoren fokussiert, da die Stromerzeugung bis vor einem Jahrzehnt hauptsächlich damit erfolgte. Mit der starken Verbreitung der leistungselektronischen Wandlung von Energiequellen verändert sich auch das Netz und damit die dynamischen Eigenschaften im Netzverbund. Während die Schwingungen bei Synchrongeneratoren meistens durch Polradpendelungen hervorgerufen werden (aufgrund von Leistungsaustausch zwischen anderen Generatoren), und diese aufgrund der trägen Masse von der Geschwindigkeit begrenzt sind, können halbleiterbasierte Umrichter deutlich schnellere Reaktionen hervorrufen, und damit Schwingungen mit höheren Frequenzen (> 2.5 Hz) anregen.
Bei den netzgekoppelten Invertern unterscheidet man von der Art der Stromeinspeisung grob zwischen Grid-following (GFL) und Grid-forming Invertern (GFM). Erstere sind die heutzutage die weitestverbreitete Type, diese agiert vereinfacht gesagt als Stromquelle, und regelt „eigennützig“, sodass das primäre Leistungsangebot vollständig übertragen werden kann. Dabei wird wenig Rücksicht auf aktuelle Netzverhältnisse gegeben, bis auf die notwendigen Anpassungen der U/Q Kennlinie und Fault-Ride-Through.
GFM Inverter hingegen können als Spannungsquelle (mit Serienimpedanz) angesehen werden, die im weitesten Sinne einen Synchrongenerator und dessen Eigenschaften der Momentanreserve (Inertia) nachbildet. Nähere Informationen zu Testverfahren von GFM hat Fraunhofer ISE veröffentlicht: https://www.ise.fraunhofer.de/en/press-media/press-releases/2025/fraunhofer-ise-develops-test-procedure-for-grid-forming-inverters.html
Diese unterschiedlichen Regelstrategien können, je nach Implementierung und Parametrisierung, dazu führen, dass Schwingungen im Netz begünstigt oder gedämpft werden.
Regler-Typen bei Generatoren
Bei Reglern von Generatoren wird meist zwischen Spannungsregelung und Leistungsregelung unterschieden. In der Praxis existieren aber meist komplexere Kombinationen aus beiden Typen.
Diese Regler können unter Umständen ein schwingungsfähiges System darstellen.
Spannungsregler
Der Spannungsregler sorgt dafür, dass die Klemmenspannung am Generator den gewünschten Wert hat. Übergeordnet wird zumeist eine Blindleistung vorgegeben, die der Generator liefern/beziehen soll, und diese über den Spannungsregler eingestellt (Erregerstrom).
Leistungsregler
Die Leistungsregelung erfolgt bei Kraftwerken ohne Teilnahme an der Primärregelung nach wirtschaftlichen Aspekten bzw. dem Angebot von Primärenergie (Sonne, Wasser, Wind).
Kraftwerke, die an der Primärregelung teilnehmen, sind mit einem Leistungsregler ausgestattet, der je nach momentaner Netzfrequenz, die Leistung anhand einer statischen Kennlinie anpasst.
Charakteristik von Schwingungen
Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben eine Erweiterung der Klassifizierung der Stabilitätsphänomene vorgeschlagen: https://cse.cigre.org/cse-n037/suitable-classification-of-power-system-stability-phenomena.html
Dabei wird u.a. unterschieden zwischen Stabilitätskriterien, wie
- Winkelstabilität
- Sub-/Supersychrone Stabilität
- Harmonische Stabilität
In Anlehnung an Punkt 2 habe ich detailliertere Beispiele zur Verdeutlichung der Phänomene und entsprechende Auswirkungen auf messtechnische Parameter der Spannung dargestellt. Die jeweiligen Amplituden sind überzeichnet, um die Sichtbarkeit zu verbessern. Amplituden dieser Höhe treten in der Praxis nicht auf.
Additiv überlagerte Schwingung
Eine additiv überlagerte Schwingung zeigt sich Frequenzbereich durch einen Ausschlag nahe der 0-Hz Linie (zweite Zeile).

Durch die Überlagerung der Schwingung kommt es zu einer fälschlichen Änderung der gemessenen Grundschwingungsfrequenz und zu einer Modulation des Effektivwerts. Zwischen dem Grundschwingungs- und Gesamt-Effektivwert sind Unterschiede feststellbar, diese werden aber bei tatsächlich vorkommenden Amplituden so gering, dass diese nicht mehr sichtbar sind.
Charakteristisch ist aber die H0-Komponente der Harmonischen-Berechnung. Diese schlägt hier mit der vollen Amplitude aus (~23V).
Was ist die H0-Komponente?
Die 0-te Oberschwingungsordnung. Berechnet nach Verfahren beschrieben in IEC 61000-4-7 5.6 (FFT mit 5 Hz Linienauflösung, Effektivwert der Ordnungslinie + die rechte + linke benachbarte Linie). Bei Ordnung 0 fällt die linke benachbarte Linie weg. D.h. H0 beinhaltet den Frequenzanzteil der Linien 0Hz und 5 Hz.
Mögliche Ursachen: Mir nicht bekannt
Amplitudenmodulation
Im Gegensatz zum obigen Beispiel wird im Falle der Amplitudenmodulation keine Schwingung addiert sondern multipliziert. Der 0-Punkt bleibt stabil, die Amplitude ändert sich aber periodisch. Im Spektrum erkennt man ein amplitudenmoduliertes Signal an den diskreten „Höckern“ rechts und links im Nahbereich der Trägerfrequenz.

Die Frequenzmessung ist in diesem Fall wie erwartet fast konstant (Achtung: andere Skalierung), dafür schwingt der Spannungs-Effektivwert (True RMS und Grundschwingung gleichermaßen) mit der modulierenden Amplitude um den Mittelwert. Die H0-Komponente ist kaum ausgeprägt.
Mögliche Ursachen: schlecht abgestimmte Spannungs- bzw. Blindleistungsregler
Frequenzmodulation
Ein Frequenzmoduliertes Signal entsteht durch kontinuierliche Änderung der Frequenz mit einem modulierenden Signal. Im Spektrum ist der Unterschied zur AM anhand der breiteren und verschmierteren Höckern zu erkennen, die sich nach einer Besselfunktion abklingend sehr weit ausbreiten.

Wie erwartet schwingt bei der Frequenzmodulation die gemessene Frequenz (=demoduliertes Signal) und der Effektivwert bleibt konstant.
Mögliche Ursache:
- Anregung eines Local-Mode im Generator: Aufgrund von Leistungsungleichgewichten kommt es zu Polradpendelungen (wiederkehrende Beschleunigung und Bremsund des Rotors) und damit zu Änderungen des Spannungswinkels an der Generatorklemme.
- Erzwingung von Ausgleichsstömen durch die Spannungswinkeländerungen und der Netzimpedanz (AM des Stromes)
- schwankende Erzeugungsleistung durch fehlende Dämpfung im Leistungsregler (indirekte Beeinflussung der Spannung durch amplitudenmodulierten Strom)
Zusammenfassung
- H0-Komponente (bzw. IH0 für Frequenzen > 7.5Hz) weist auf additive subsynchrone Schwingung hin
- Schwingender Effektivwert (ohne H0-Komponente) weist auf Amplitudenmodulation hin
- Schwingender Frequenzwert weist auf Frequenzmodulation hin
In der Praxis treten die Phänomene meist in Mischform auf, sind also eine Überlagerung mehrerer Ursachen.
Im nächsten Beitrag versuche ich, die Erkenntnisse auf das Schwingungsphänomen der Messstation DE/Stade anzuwenden und zu analysieren, soweit das mittels reiner Spannungsmessung (ohne Kenntnis der Leistungsflüsse im übergeordneten Netz) möglich ist.
Vielen Dank an Dr. Marco Lindner, der mich bereitwillig bei meinem Beitrag unterstützt hat.
Euer Michael